Weniger Pflichtteilsansprüche – mehr erblasserische Freiheiten

Prof. Dr. Roland Fankhauser

Der Bundesrat hat kürzlich beschlossen, die am 18. Dezember 2020 verabschiedete Teilrevision des Erbrechts auf den 1. Januar 2023 in Kraft zu setzen. Wer sich mit Nachlassplanung auseinandersetzt, ist deshalb gut beraten, diese erbrechtlichen Neuerungen im Blick zu behalten und seine bisherige und zukünftige Planung allenfalls den neuen Gegebenheiten anzupassen.

Den Anstoss für die Revision gab eine am 17. Juni 2010 vom damaligen Ständerat Felix Gutzwiller eingereichte Motion, die den Bundesrat mit der Modernisierung des Schweizer Erbrechts beauftragen wollte. Ziel des Motionärs war, das seit über 100 Jahren kaum geänderte Erbrecht an die neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Obwohl es dem damaligen Ständerat Gutzwiller nicht nur um die Änderung des Pflichtteilsrechts, sondern auch um die Besserstellung des bisher diskriminierten unverheirateten Lebenspartners ging, schwächte das Parlament die Vorlage ab und wollte bewusst keine erbrechtliche Gleichbehandlung von Konkubinatspaaren mit Ehepaaren. Sogar ein sehr zurückhaltend formulierter und nur für Notsituationen vorgesehener Anspruch des faktischen Lebenspartners gegenüber dem Nachlass schaffte es nicht ins Gesetz. Die wichtigsten Punkte der Revision bleiben damit namentlich die Veränderungen im Bereich des Pflichtteilsrechts.

Derzeit sind Nachkommen, Ehegatten und Eltern pflichtteilsberechtigt. Das bedeutet, ein gewisser Teil ihres gesetzlichen Erbanspruchs kann ihnen nicht mittels Testament einseitig entzogen werden. Eine erste Neuerung ab 1.1.2023 betrifft diesen Kreis der Pflichtteilserben, indem künftig Eltern nicht mehr pflichtteilsgeschützt sind. Gerade bei nichtverheirateten kinderlosen Erblasserinnen und Erblassern wirkt sich dies aus, weil diese in ihrer Nachlassplanung nicht mehr durch die Pflichtteilsansprüche der allenfalls noch lebenden Eltern (derzeit pflichtteilsberechtigt im Umfang von immerhin der Hälfte des Nachlasses) begrenzt werden. Weiterhin sind aber erbschaftssteuerliche Konsequenzen zu beachten, wenn faktische Lebenspartnerinnen oder –partner oder andere entfernt oder gar nicht Verwandte als Erben eingesetzt werden, daran hat die Erbrechtsrevision (leider) nichts geändert.

Mehr Flexibilität wird dem Erblasser auch dadurch eingeräumt, dass mit der Revision die Pflichtteilsansprüche der Nachkommen reduziert werden (von drei Viertel auf die Hälfte der gesetzlichen Quote). Konnte bisher eine unverheiratete Erblasserin mit Nachkommen nur über einen Viertel ihres Nachlasses frei testamentarische Anordnungen treffen, kann sie dies heute über die Hälfte des Nachlasses tun. Der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten hingegen wird unverändert bleiben, bei gemeinsamen Kindern wird aber wegen der Pflichtteilsreduktion bei den Kindern dennoch die Möglichkeit vergrössert, den überlebenden Ehegatten zu begünstigen. Die Erhöhung der sog. freien Quote, über die frei testamentarisch verfügt werden kann, erhöht aber auch die nachlassgestalterischen Möglichkeiten, in diesem Bereich mittels Bedingungen und Auflagen das Verhalten der Erben zu steuern.

Eine Stärkung der Erbvertragserben ist ebenfalls beschlossen worden. Erbvertragserben sind solche, deren Ansprüche im Rahmen eines öffentlich zu beurkundenden Erbvertrags abgesichert werden. Bisher hinderte dies grundsätzlich den Erblasser nicht, mit lebzeitigen Schenkungen diese Position zu gefährden. Neu sollen solche lebzeitigen Schenkungen grundsätzlich anfechtbar sein, ausser sie sind im Erbvertrag explizit vorbehalten worden.

Eine sehr wichtige Änderung betrifft schliesslich das Erbrecht des in Scheidung befindlichen Ehegatten. Unter dem geltenden Recht endet die Erbberechtigung (und damit auch der Pflichtteilsanspruch) des Ehegatten erst mit der rechtskräftigen Scheidung. Verstirbt der eine Ehegatte noch vor der Scheidung während des Scheidungsverfahrens, erhält der überlebende Ehegatte gemäss der noch geltenden Rechtslage zumindest seinen Pflichtteil (und profitiert möglicherweise auch von einer ehevertraglich vorgesehenen güterrechtlichen Begünstigung), was kaum den Wünschen des verstorbenen Ehegatten entsprechen dürfte. Nach dem neuen Recht geht das Pflichtteilsrecht von Ehegatten vereinfachend gesagt unter, wenn zwischen ihnen ein Scheidungsverfahren vor Gericht hängig ist. Der Verlust des Pflichtteilsrechts bedeutet aber lediglich, dass der überlebende Ehegatte seinen Pflichtteil nicht mehr geltend machen kann, wenn der Erblasser ihn beispielsweise mittels Testament übergangen hat. Der sich scheidende Erblasser muss also aktiv werden und ein entsprechendes Testament errichten, damit der Ehegatte nicht profitieren kann. Falls Sie in Scheidung befindlich sind, denken Sie an diese Möglichkeit und besprechen Sie dies mit Ihrer Anwältin bzw. Ihrem Anwalt.

Die oben dargelegten Änderungen werden wie bereits erwähnt ab 2023 in Kraft treten. Bei jedem Todesfall ab dem 1. Januar 2023 gelten die neuen Bestimmungen. Unter Umständen kann die Auslegung «alter» Testamente umstritten werden, wenn darin auf Pflichtteilsansprüche Bezug genommen wird, diese sich nun aber mit der Revision verändert haben. Der Bundesrat hat in seiner Botschaft zu den Änderungen deshalb zu Recht festgehalten, «so bietet die vorliegende Revision für die Personen, die bereits Verfügungen von Todes wegen getroffen haben, die Gelegenheit, diese im Lichte der grösseren Testierfreiheit und der Klärungen durch das neue Recht zu überdenken und, falls sie dies wünschen, anzupassen.». Gerne unterstützen wir Sie, wenn Sie im Lichte dieser Neuerungen Ihre Nachlassplanung überdenken wollen.

 

(Weiterführende Literatur Fankhauser/Jungo, Entwurf zur Revision des Erbrechts vom 29. August 2018: ein Überblick, recht 2019, S. 1 ff.)

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