Auswirkungen der Corona-Pandemie im Familienrecht – Aktuelle rechtliche und praktische Fragen

Dr. Michelle Lachenmeier, Advokatin

Die Corona-Pandemie sowie die zahlreichen Massnahmen des Bundes und der Kantone haben nahezu alle Lebensbereiche und Rechtsgebiete getroffen und eine Vielzahl an praktischen und rechtlichen Fragen aufgeworfen. Nach der ausserordentlichen Lage im Frühjahr hat sich die Situation auf den Sommer hin zwar etwas normalisiert, doch stellen sich nach wie vor zahlreiche Fragen, Probleme und Herausforderungen im Familienalltag sowie in familienrechtlichen Verfahren. Der vorliegende Beitrag soll einen kurzen Überblick betreffend die verschiedenen Fragestellungen verschaffen und mögliche Lösungsansätze aufzeigen.

  • Allem voran haben die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie Menschen mit familiären Verpflichtungen vor grosse finanzielle Herausforderungen gestellt, sei es durch die Anordnung von Kurzarbeit, den Verlust der Arbeitsstelle, den Einbruch oder Wegfall von Umsätzen sowie Mietzinseinnahmen oder durch ein tieferes Ersatzeinkommen. Verschlechtert sich die finanzielle Leistungsfähigkeit, stellt sich die Frage, ob und wie Unterhaltsregelungen den neuen Umständen angepasst werden können. Eine Reduktion, Erhöhung oder Aussetzung des Unterhalts ist unter bestimmten Umständen möglich, namentlich wenn die Änderung unfreiwillig, dauerhaft und wesentlich ist. Die konkreten Anforderungen sind jedoch unterschiedlich, je nachdem, ob es sich um einen ehelichen, nachehelichen oder Kindesunterhalt handelt und wie dieser geregelt worden ist (vertraglich, in einem Eheschutz- oder Scheidungsurteil).

  • Grundsätzlich ändert die Corona-Pandemie nichts an der Betreuungsregelung. Wird aber das Kind oder ein Elternteil unter Quarantäne gestellt, gehört ein Familienmitglied zur Risikogruppe oder infiziert sich mit dem Virus, so stellt sich die Frage, wie sich die behördlichen Weisungen und Empfehlungen im Einzelfall auf die Betreuung, das Besuchs- und Kontaktrecht auswirken und wie das Kindeswohl gewahrt werden kann. Unter gewissen Umständen können die Betreuung und das persönliche Besuchs- und Kontaktrecht durch einen Elternteil kaum mehr oder nicht mehr in der gleichen Form wahrgenommen werden. Der Kontakt zum anderen Elternteil sollte aber per Telefon und Videochat aufrechterhalten werden. Kann bzw. darf ein Elternteil aus den oben genannten Gründen nicht mehr betreuen, sollte dieser um eine alternative Betreuungslösung besorgt sein und grundsätzlich für die zusätzlichen Kosten aufkommen. Auch sollten sich die Eltern überlegen, ob und wie verpasste Besuchs- und Ferientage (teilweise) nachgeholt werden können.

  • Fällt die Fremdbetreuung durch die Schule und Kindertagesstätte zeitweise weg, weil etwa das Kind Anzeichen von Krankheitssymptomen hat oder kranke oder infizierte Familienmitglieder vorhanden sind, muss die Kinderbetreuung in dieser Zeit durch einen Elternteil sichergestellt werden. Auch hier ist es ratsam, sich abzusprechen und namentlich den Anspruch und die Dauer auf Lohnfortzahlung durch die Arbeitgeberin bei der Entscheidung, wer von der Arbeit zugunsten der Kinderbetreuung fernbleibt, zu berücksichtigen, sodass finanzielle Einbussen möglichst vermieden werden können.

  • Ausserdem fragen sich zurzeit viele Eltern, ob und wohin sie mit den Kindern in die Ferien reisen können bzw. ob sie Verwandte im Ausland besuchen sollen, wenn dort ein hohes Infektionsrisiko besteht und sie sich nach der Rückkehr in Quarantäne begeben müssen. Neben gesundheitlichen kann die Wahl der Feriendestination auch finanzielle Folgen haben, wenn etwa der Arbeitgeber während der Quarantäne keinen Lohn bezahlt. Grundsätzlich brauchen die Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge keine Zustimmung des andern Elternteils, wenn sie Ferien im Ausland verbringen. Ferien können aber dann versagt werden, wenn die Ferienregion oder die Art, wie die Ferien verbracht werden, eine Kindeswohlgefährdung darstellen. Eine solche Gefährdung wäre denkbar, wenn ein Elternteil mit einem Kind, das zur Risikogruppe gehört in eine Ferienregion mit einer besonders hohen Infektionsrate reisen möchte. Die Wahl der Feriendestination sollte daher gut durchdacht und zwischen den Eltern abgesprochen werden.

  • Im Familienalltag stellt sich zudem die Frage, welchen Tätigkeiten das Kind noch nachgehen, ob es sich mit anderen Kindern treffen darf oder ob fremde Kontakte in Zeiten der Pandemie möglichst ausbleiben sollen. Betreut ein Elternteil das Kind, kommt ihm für die alltäglichen Angelegenheiten die Entscheidungskompetenz zu und der Elternteil kann grundsätzlich selbst entscheiden, was er mit dem Kind unternimmt. Die Grenze stellt aber auch hier das Kindeswohl dar, welches etwa dann gefährdet ist, wenn sich ein Elternteil nicht an ärztliche Empfehlungen hält oder wenn gegen behördliche Anordnungen verstossen wird (z.B. durch die Teilnahme an einer unerlaubten Menschenansammlung).

  • Befinden sich Ehegatten und/oder Eltern in einem Streit und möchten sie bspw. für die Regelung des Getrenntlebens, des Unterhalts, der Betreuung oder für die Scheidung das Gericht anrufen, so ist aktuell besondere Geduld gefragt. Aufgrund der Vorgaben des Bundes bezüglich der Distanz können Schlichtungs- und Einigungsverhandlungen sowie die sog. persönliche Anhörung bei der Scheidung nur noch in grösseren Gerichtssälen stattfinden und die Gerichte haben einen durch den Lockdown verursachten Rückstau der Fälle zu bewältigen. Die Parteien müssen daher länger als gewöhnlich auf einen Gerichtstermin warten. Kann eine Partei aus gesundheitlichen Gründen (oder weil sie unter Quarantäne seht) nicht persönlich erscheinen, ist auch eine Telefon- und Videokonferenz rechtlich möglich, wobei die Gerichte von dieser Möglichkeit nur sehr zurückhaltend Gebrauch machen. Das Verfahren bzw. die Wartezeit für einen Gerichtstermin kann auch durch die strikten Einreisebestimmungen verzögert werden, wenn sich eine Partei im Ausland befindet, nicht einreisen kann oder sich nach der Einreise zunächst in Quarantäne begeben muss.

In vielen dieser Situationen bestehen Unklarheiten und Unsicherheiten, welche der Neuigkeit und dem Ausmass der Situation sowie den laufenden Anpassungen der Pandemiemassnahmen geschuldet sind. Falls Sie Unterstützung benötigen und Fragen rund um das Familienrecht und die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben, steht Ihnen unser Büro mit mehreren erfahrenen Anwältinnen und Anwälten gerne zur Verfügung.

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