Berufliche Vorsorge: Ausnahmen von der hälftigen Teilung, Neuerungen im Bereiche des Vorsorgeausgleichs im Schweizer Scheidungsrecht

Gabrielle Bodenschatz

Seit dem 1. Januar 2017 sieht das Gesetz neu in Art. 123 ff. ZGB die Möglichkeit vor, nicht nur die Austrittsguthaben, sondern auch allfällige Renten aufzuteilen. Dabei gilt der Grundsatz, dass die Austrittsleistungen gemäss Art. 123 ZGB hälftig und die Renten nach Ermessen des Gerichts aufgeteilt werden. Die Ehegatten können in einer Vereinbarung über die Scheidungsfolgen gemäss Art. 124 b Abs. 1 ZGB eine Abweichung von der Hälfteteilung vorsehen, falls die verzichtende Person über eine angemessene Vorsorge verfügt oder wichtige Gründe vorliegen. Auch kann das Gericht gemäss Art. 124 b Abs. 2 und 3 ZGB von der üblichen Hälfteteilung aus wichtigen Gründen abweichen. Dies gilt sowohl für die Austrittsleitungen als auch für die Renten, wobei bei das Gericht bei den Renten bereits gestützt auf Art. 124 a ZGB abweichen kann, ohne auf Art. 124 b ZGB angewiesen zu sein. Die neue Regelung ist hiermit viel flexibler als die alte.

a) Abweichung von der gesetzlichen Reglung der hälftigen Teilung durch Parteivereinbarung bei angemessener Vorsorge gemäss Art. 124 b Abs. 1 ZGB: Hier hat die verzichtende Partei dem Gericht darzulegen, warum von der hälftigen Teilung abgewichen wird. Die Gründe können u.a. darin liegen, dass die verzichtende Partei genügend abgesichert ist oder güterrechtlich die eheliche Liegenschaft erhalten hat. Anders als im alten Recht ist nicht mehr eine entsprechende, sondern bloss eine angemessene Vorsorge vorausgesetzt. Während bisher nur verzichtet werden konnte, wenn eine Vorsorge im gleichen Umfang – z.B. 3. Säule – vorhanden war, ist es nun denkbar abzuweichen, wenn die Vorsorge quantitativ nicht gleich, aber immerhin angemessen bleibt. Die verfügbaren Vorsorgemittel müssen sowohl der persönlichen Situation der Partei, die verzichtet oder überhälftig teilt, als auch in Bezug auf die verfügbaren Vorsorgemittel angemessen sein. Bei der Beurteilung der persönlichen Situation sind etwa das Vorsorgebedürfnis, das Alter, die Nähe zum Rentenalter und die Möglichkeit der künftigen Aeufnung von Vorsorgeguthaben zu berücksichtigen. Neben dieser Voraussetzung müssen die vorhandenen Vorsorgemittel auch eine objektiv angemessene Alters- und Invalidenvorsorge gewährleisten. Diese Voraussetzung beurteilt sich aufgrund der ehelichen als auch der vorehelich bestehenden sowie weiterer gebundener Vorsorgemittel.

b) Verzicht aus wichtigen Gründen gemäss Art. 124 b Abs. 2 ZGB: Die Eheleute können nicht nur unter der Voraussetzung der weiterhin bestehenden angemessenen Vorsorge nach Art. 124 b Abs. 1 ZGB, sondern auch aus wichtigen Gründen auf eine hälftige Teilung verzichten. Auch kann das Gericht gestützt auf Art. 124 b Abs. 2 ZGB aus wichtigen Gründen von der hälftigen Teilung abweichen. Sobald wichtige Gründe vorliegen, entfällt die Voraussetzung der angemessenen Altersvorsorge. Wichtige Gründe im Sinne des Gesetzes liegen vor, wenn die hälftige Teilung unbillig wäre. Dies kann aufgrund der güterrechtlichen Auseinandersetzung, der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung oder aufgrund der Vorsorgebedürfnisse einer Partei, insbesondere unter Berücksichtigung des Altersunterschiedes zwischen den Ehegatten oder aus anderen wichtigen Gründen der Fall sein. Die Aufzählung im Gesetz ist nicht abschliessend. Im Gegensatz zum alten Recht ist keine offensichtliche, sondern nur eine blosse Unbilligkeit erforderlich. Zu denken ist etwa an Fälle, in denen der eine Ehegatte über eine grosse Erbschaft, während der andere lediglich über eine Rente oder eine verhältnismässig bescheidene Austrittsleistung verfügt; an Fälle, bei denen die Ehegatten Gütertrennung vereinbarten und der eine Ehegatten über eine 2. Säule, während der andere lediglich über eine 3. Säule verfügt, die er nicht teilen muss, da Gütertrennung vereinbart wurde. Bei der Berücksichtigung des Altersunterschieds muss ein erheblicher Altersunterschied bestehen (gegen 20 Jahre) und auch hier muss eine Gesamtbetrachtung der Verhältnisse stattfinden. Als weitere wichtige Gründe sind z.B. denkbar eine grobe Verletzung der familienrechtlichen Unterhaltspflichten. So ist z.B. an Konstellationen bei familiärer Mehrfachbelastung des einen Ehegatten zu denken, etwa wenn der eine Ehegatte über Jahre hinweg einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachging und für das gesamte wirtschaftliche Auskommen der Familie aufkam und ausserdem auch noch die Kinder und den Haushalt alleine versorgte, während der Ehegatte ihn grundlos weder persönlich noch finanziell entlastet hat. Fälle wie sie in BGE 133 III 477 und Bger 5A_804/2016 vorlagen, dürften somit im Lichte dieser Gesetzesänderung heute anders beurteilt werden. Allerdings dürfte eine Verletzung der familienrechtlichen Unterhaltspflicht von einer gewissen Intensität über einen gewissen Zeitraum notwendig sein, nicht jede noch so geringe Verletzung dürfte genügen. Weitere wichtige Gründe können sich aus einer schweren Straftat gegenüber der verpflichteten oder einer ihr nahe verbundenen Person durch den allfällig ausgleichsberechtigten Ehegatten ergeben. Erwähnt sei zum Schluss, dass das Gericht auch eine überhälftige Teilung der Austrittsleistungen anordnen kann (Art. 124 b Abs. 3 ZGB). Hierdurch sollen künftige Lücken infolge Kinderbetreuung abgedeckt werden. Einschränkend ist jedoch zu berücksichtigen, dass dem überhälftig Teilenden eine angemessene Altersvorsorge verbleiben muss. Diese Möglichkeit eröffnet neue Regelungsmöglichkeiten bei knappen finanziellen Verhältnissen, bei denen kein Vorsorgeunterhalt festgesetzt werden kann.

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