Haftet die Bank für Schäden aus der Aufhebung der Euro-Untergrenze durch die Nationalbank?

Marco Chevalier

Am 15. Januar 2015 gab die schweizerische Nationalbank um ca. 10:30 Uhr bekannt, dass sie die Euro-Kurs-Untergrenze aufgebe. Nach einem Sturz auf gerundet CHF 0.86 pro Euro pendelte sich der Kurs zwei Stunden später auf CHF 1.03 pro Euro ein. Noch nie zuvor hatte es derartige Bewegungen einer G-5-Währung gegeben. Der Schweizer Franken war innert Minuten um über 20 % erstarkt.

Die im Devisenhandel tätigen Investoren arbeiteten meist mit Stop-Loss-Aufträgen, d.h. dass der Verkaufsauftrag bei Erreichen eines gewissen „Triggers“ ausgelöst wird. Dieser wurde jeweils auf knapp unter die von der Nationalbank gehaltenen CHF 1.20 pro Euro gesetzt. Banken und Kunden gingen vor dem 15. Januar 2015 davon aus, dass der Devisenmarkt immer liquide ist, d.h. dass solche Stop-Loss Aufträge den Verlust wirksam begrenzen. Da im Devisenhandel regelmässig mit grossen Hebeln gearbeitet wird, bedeutet ein um 10 Prozentpunkte schlechterer Kurs nicht selten einen Verlust in Millionenhöhe.

Bei vielen Banken kam es im Anschluss an die Aufhebung der Euro-Untergrenze zu chaotischen Zuständen. Zum Teil wurden den Kunden Geschäftsabschlüsse bestätigt und Stunden später wieder widerrufen. Zum Teil wurde der Handel während Stunden ausgesetzt und später willkürlich ein Preis festgesetzt, der für alle Kunden Geltung haben sollte. Dabei wurde teilweise nicht unterschieden, ob die Kunden einen Stop-Loss gesetzt hatten, der innert Sekundenbruchteilen nach Erreichen des Triggers vom elektronischen System ausgeführt werden sollte, oder ob sie eine halbe Stunde nach Bekanntwerden der Aufhebung der Untergrenze den Auftrag telefonisch erteilten.

In den anschliessenden Diskussionen und Korrespondenzen über den Fall zeigten sich die Banken uneinsichtig und wollten das gesamte Risiko auf die Kunden abwälzen. Regelmässig wurde argumentiert, es sei der Bank nicht möglich gewesen, die Aufträge der Kunden «im Markt zu platzieren» und die Auflösung der Euro-Untergrenze sei ein dermassen unvorhergesehenes Ereignis gewesen, dass niemand damit rechnen musste. Weiter bekamen die Kunden zu hören, der Devisenhandel sei eben ein noch nicht regulierter Bereich, weshalb es ohnehin keine rechtliche Grundlage für ein Vorgehen gegen die Bank gäbe.

Das Handelsgericht Zürich hatte sich mit einem Fall zu befassen, in welchem der Kunde seit November 2012 eine Kontobeziehung mit vier Unterkonten hatte und Devisenhandel betrieb. Als Gegenpartei der Devisengeschäfte fungierte jeweils die Bank. Die AGB der Bank wurden zum Vertragsbestandteil der zwischen den Parteien bestehenden Bankkundenbeziehungen. Sie enthielten unteranderem folgende Klausel:

Transaktionen am Markt

Der Kunde erklärt sich damit einverstanden, nimmt zur Kenntnis und versteht;

[…]

dass aufgrund der im Markt geltenden Vorschriften und Usancen unter Umständen eine nachträgliche Änderung oder Stornierung der abgeschlossenen Transaktionen möglich ist; dies gilt insbesondere bei Fehlern, bei Rechts- oder regelwidrigen Abschlüssen oder bei Vorliegen einer besonderen Marktlage, wobei der Kunde ausdrücklich jegliche Verluste oder andere Konsequenzen, die daraus resultieren könnten, akzeptiert.

Im von Handelsgericht zu beurteilenden Fall hatte die Bank unmittelbar nach Aufhebung der Euro-Untergrenze mittels automatischem System den Stop-Loss-Auftrag der Kunden ausgelöst und anschliessend Stunden dem Kunden gestützt auf die oben zitierte AGB-Bestimmung mitgeteilt, es handle sich um einen Fehler, der wirkliche Preis sei deutlich tiefer.

Ein Kunde akzeptierte dies nicht und klagte beim Handelsgericht Zürich. Das Handelsgericht heisst die Klage des Kunden gut und macht im nun publizierten Urteil unter anderem folgende grundsätzliche Feststellungen, welche auch für ähnliche Fälle von Relevanz sind:

  • Die Bank tritt im Devisenhandel als Gegenpartei ihrer Kunden auf, weshalb am 15. Januar 2015 Verträge via ihrer elektronischen Handelsplattform mit der Kundin zu den bestätigten Preisen zustande kamen.

 

  • Es ist für die Vertragsabschlüsse nicht von Bedeutung, ob und wie die einzelnen Positionen im Markt schlussendlich durch die Bank glattgestellt wurden, denn es ist die Bank selbst, die das abwicklungsbedingte Risiko trägt.

 

  • Als Grundlage von Usancen im OTC-Devisenhandelsgeschäft zieht das Handelsgericht den ACI Model Code bei. Das Gericht hält fest, dass der ACI Model Code keine entsprechende Marktvorschrift oder Usanz, welche das einseitige Vorgehen der Beklagten zu rechtfertigen vermöchte, enthält. Vielmehr hebt der ACI Model Code das konsensuale Element einer Anpassung hervor.

 

  • Eine besondere Marktlage im Sinne der AGB lag bei der Aufhebung des Euromindestkurses durch die schweizerische Nationalbank nicht vor. So war sämtlichen involvierten Marktteilnehmern von Beginn an klar, dass die Intervention der Nationalbank auf den Devisenmärkten nur eine vorübergehende Massnahme dargestellt hatte.

 

Aufgrund dieser Feststellungen wurde die Klage des Kunden gegen die Bank gutgeheissen. Das Urteil ist rechtskräftig geworden. D.h. die Bank akzeptiert es als richtig und hat darauf verzichtet, es an das Bundesgericht weiter zu ziehen. Die oben zitierten Erkenntnisse sind zentrale Aussagen, auf welche sich die Kunden auch in ähnlich gelagerten Fällen berufen können.

 

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