Wie erwirkt Mann heute das gemeinsame Sorgerecht und was bedeutet dieses?
Dr. Claudia M. Mordasini-Rohner, Basel

Seit 1. Juli 2014 gilt in der Schweiz das gemeinsame Sorgerecht als Regelfall. Nichtverheirateten und geschiedenen Eltern, vorab Vätern, soll die elterliche Sorge über das Kind gleichermassen zukommen wie verheirateten Eltern oder alleinerziehenden Müttern. Die Eltern sollen, unabhängig von ihrem Zivilstand, gemeinsam Verantwortung für die Entwicklung und Erziehung ihres Kindes übernehmen.

Dieser Grundsatz erlangte mit rückwirkender Kraft Gültigkeit: Väter (und Mütter), die nie miteinander verheiratet waren, oder denen bei der (nicht länger als fünf Jahre zurückliegenden) Scheidung das Sorgerecht entzogen worden war, konnten innerhalb der Übergangsfrist von einem Jahr mit dem Begehren auf gemeinsame elterliche Sorge an die Behörden gelangen und erhielten gemäss dem Regelfall das gemeinsame Sorgerecht fast ausnahmslos zugesprochen. Diese Übergangsfrist ist am 30. Juni 2015 abgelaufen.

Heute können nichtverheiratete Eltern von vor dem 1. Juli 2014 geborenen Kindern oder vor dem genannten Datum geschiedene Eltern das gemeinsame Sorgerecht bei Uneinigkeit nur noch dann zugesprochen erhalten, wenn dies „wegen wesentlicher Veränderung der Verhältnisse“ „zur Wahrung des Kindeswohls nötig“ ist. Diese Voraussetzungen im strittigen Verfahren zu beweisen, dürfte in den meisten Fällen nicht einfach sein, was dazu führt, dass bei Verpassen der Übergangsfrist das gemeinsame Sorgerecht kaum mehr erstritten werden kann.

Nichtverheiratete Väter von nach dem 1. Juli 2014 geborenen Kindern können gemäss dem neuen Gesetz im Zuge der Vaterschaftsanerkennung sowie gemeinsam mit der Mutter gegenüber dem Zivilstandsamt die Erklärung abgeben, sie wollen die gemeinsame elterliche Sorge über ihr Kind ausüben. Will die Mutter ihr Einverständnis zu dieser Erklärung nicht abgeben, muss der Vater mit seinem Begehren an die Kindeschutzbehörde (KESB) gelangen, welche ihm das gemeinsame Sorgerecht erteilen wird, sofern kein Ausnahmefall (s. dazu unten) vorliegt. Bis zur Abgabe der gemeinsamen Erklärung bzw. zur Erteilung des gemeinsamen Sorgerechts durch die KESB steht die elterliche Sorge allein der Mutter zu.

Eltern, die sich nach dem 1. Juli 2014 scheiden lassen, behalten das gemeinsame Sorgerecht in all jenen Fällen, in denen kein Ausnahmefall (s. dazu unten) vorliegt, auch über die Scheidung hinaus (ein Getrenntleben beeinflusst die gemeinsame elterliche Sorge verheirateter Eltern nicht).

Ein Ausnahmefall, welcher die Zuteilung der alleinigen elterlichen Sorge an einen Elternteil verlangt, liegt gemäss neuer bundesrichterlicher Rechtsprechung dann vor, wenn ein „schwerwiegender elterlicher Dauerkonflikt“ oder „eine anhaltende Kommunikationsunfähigkeit“ vorliegt, die sich „negativ auf das Kindeswohl auswirkt“ und wenn darüber hinaus von einer Alleinzuteilung des Sorgerechts „eine Verbesserung erwartet werden kann“. Das Bundesgericht relativiert mit dieser Rechtsprechung zwar den sehr restriktiv (allerdings auch offen) formulierten Gesetzeswortlaut („wenn zur Wahrung des Kindeswohls nötig“), betont jedoch, dass die Alleinzuteilung der elterlichen Sorge die eng begrenzte Ausnahme bleiben soll.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass nach dem 1. Juli 2014 geborene Kinder fast ausnahmslos unter gemeinsamer elterlicher Sorge stehen werden.

Das gemeinsame Sorgerecht darf allerdings nicht überbewertet werden: Insbesondere sagt es nichts über die Betreuungsanteile der Eltern bzw. den persönlichen Verkehr des nicht obhutsinnehabenden Elternteils (sog. Besuchs- und Ferienrecht) aus. Aber auch hinsichtlich des Alltags hält das Gesetz explizit fest, der betreuende Elternteil könne allein über sämtliche alltäglichen oder dringlichen Angelegenheiten des Kindes entscheiden, sowie dann, wenn der andere Elternteil nicht mit vernünftigem Aufwand zu erreichen sei. Schliesslich erteilt das gemeinsame Sorgerecht einem Elternteil nicht die Befugnis etwas zu entscheiden, sondern (lediglich) das Recht, sein Einverständnis zu verweigern und somit einen behördlichen Entscheid betreffend Kinderbelange zu provozieren.

In praktischer Hinsicht dürfte das gemeinsame Sorgerecht in jenen Fällen am meisten Auswirkung zeigen, in denen der obhutsinnehabende Elternteil mit dem Kind den Wohnsitz (insbesondere ins Ausland) verlegen will. Ohne Einwilligung des anderen Elternteils oder Bewilligung der Behörde ist dies unter der neuen Gesetzgebung nicht mehr rechtens.

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